Thomas Engelhardt, Andreas Frewer (Hrsg.): NS-„Euthanasie“ in Erlangen. Tatorte – Hungerkost – Opfer

 

Zu den furchtbaren Gräueltaten des NS-Regimes zählt die gezielte Ermordung von Kranken in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, die offiziell mit dem beschönigenden Begriff „Euthanasie“ bezeichnet und systematisch durchgeführt wurde. Solche Verbrechen fanden auch in der Erlanger
Heil- und Pflegeanstalt („HuPfla“) statt; ihre wissenschaftliche Aufarbeitung ist eine schwierige, aber notwendige Aufgabe. Prof. Andreas Frewer und Thomas Engelhardt verfolgen dieses Ziel mit der Veröffentlichung des Aufsatzbandes „NS-‚Euthanasie‘ in Erlangen. Tatorte – Hungerkost – Opfer“
mit Beiträgen von Ernst Bayerlein, Sonja Bayerlein, Christof Eberstadt, Thomas Engelhardt, Andreas Frewer, Andrea M. Kluxen, Werner Lutz, Dinah Radtke, Harald Sippel und Pia Tempel-Meinetsberger. Die gesammelten Forschungsarbeiten analysieren den Kontext und die Durchführung der aus der Erlanger HuPfla bekannten Fälle von Krankentötungen und zeigen exemplarisch Hintergründe sowohl zu Opfern als auch zu Beteiligten.

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Die Erlanger Krankenmorde der NS-Zeit vor ihrem geschichtlichen Hintergrund

Zunächst wird nach Einführung und Geleitworten eine Übersicht zur Geschichte des Begriffs „Euthanasie“ von der Antike bis ins 20. Jahrhundert gegeben, in dem dieser euphemistisch für die
vom NS-Regime befohlenen Krankentötungen verwendet wurde. Dann werden die in der NS-Zeit geschehenen Verbrechen in der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Es wird einerseits eine möglichst umfassende räumliche und zeitliche Aufstellung der dokumentierten Fälle vorgenommen; man erhält auf diese Weise Einblick in genauen Tatorte und die oft grausamen Methoden, mit denen der Tod z.B. durch langsames Aushungern herbeigeführt wurde, aber auch erstmals zu Widerstand und „Sabotage“ innerhalb der Anstalt. Andererseits werden einzelne Personen vorgestellt, die unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehen ermöglichen. Dazu gehören Markus Lindheimer, ein jüdischer Patient und ebenso wie die beschriebene Anna Kurz Opfer der „Euthanasie“, Annemarie Wettley, die ab Spätsommer 1944 als Ärztin in der „HuPfla“ arbeitete und deren Rollen bei Tötungen und Sabotageakten kontrovers diskutiert wird, sowie Werner Leibbrand, Medizinprofessor und in der Nachkriegszeit Direktor der „HuPfla“, der die Verbrechen des NS-Regimes verurteilte und unter schwierigen Bedingungen wie auch Interessenkonflikten aufarbeitete.

 

Gegen das Vergessen und Verdrängen

Die abschließenden Beiträge im Band befassen sich mit der Erinnerungskultur zu den NS-Verbrechen in Erlangen, auch vor dem Hintergrund des Abrisses der letzten Krankenflügel der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt. Die Autorinnen und Autoren plädieren dafür, das Wissen um die grausamen Ereignisse in der Gesellschaft wach zu halten. Gerade die als „Euthanasie“ bezeichneten Morde an Kranken spielen in der Diskussion um die Schrecken der NS-Herrschaft oft noch eine zu untergeordnete Rolle, auch wenn der nun vorliegende Aufsatzband einen wichtigen Schritt darstellt, um dem in Erlangen entgegenzuwirken. Das aus bürgerschaftlichem Engagement entstandene Buch ist den Opfern der „Euthanasie“ wie auch ihren Angehörigen gewidmet und wurde vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und dem Heimat- und Geschichtsverein Erlangen sowie dem Bezirk Mittelfranken gefördert.

 

Thomas Engelhardt, Andreas Frewer (Hrsg.): NS-„Euthanasie“ in Erlangen. Tatorte – Hungerkost – Opfer, erschienen im Verlag PH. C. W. SCHMIDT. Neustadt/Aisch, ISBN 978-3-87707-293-6. 392 Seiten. 85 Abb. 48,00 €.