KRIEG – nicht in der Ukraine, sondern hier in der Heimat, in Ulm vor über 200 Jahren. Wie haben die Menschen das damals erlebt? Erhellende Einblicke und aufschlussreiche Antworten aus Sicht der Betroffenen liefert detailreich und lebendig die Studie von

 

Ingrun Klaiber, Krieg in der Stadt. Ulm und seine Bevölkerung während der Koalitionskriege 1792-1815 (= Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, hg. vom Haus der Stadtgeschichte – Stadtarchiv Ulm Band 37), Ulm 2021, ISBN 978-3-17-041310-8.

 

Das subjektive Erleben des Koalitionskrieges:  Ulm und seine Chroniken als Quelle.

 

Enstanden ist ein gewaltiges „Kriegs-Kompendium“ auf beinahe 600 Seiten, das auf dem von Historikern bislang eher vernachlässigten, „subjektiv-autonomen“ Quellentyp der Chroniken basiert, von denen die Autorin erstmals eine immense Vielzahl auswerten konnte, mit einem ganz dezidierten Blick auf die Erfahrungsgeschichte und das konkrete Erleben von Krieg in der Bevölkerung.

Ulm in den Koalitionskriegen

Äußerst ausführlich ist schon die Einleitung (hier Kapitel 1) zum Thema, der das Quellen- und Literaturverzeichnis im Anhang mit über 70 Seiten kaum nachsteht. Gegliedert ist das Opus magnum formal in zwei Teile: Kapitel 2 umfasst eine Zusammenschau zum Kriegswesen um 1800 im Allgemeinen sowie zu den politisch-territorialen Veränderungen in den Koalitionskriege in Ulm im Besonderen verhältnismäßig bündig (S. 53-101).

Alltag im Koalitionskrieg und seine Bewältigung.

Wie der Krieg dort nun eigentlich „erlebt“ wurde, Alltag, Wahrnehmung und Verarbeitung, wird in Kapitel 3 ungemein detailreich und unter großzügiger Verwendung von Quellenzitaten auf über 350 Seiten wiedergegeben (S. 103-472). Dabei interessiert die Autorin besonders, wie die militärische Präsenz vor Ort erlebt wurde (Kap. 3.1), wie die Belagerungen und das Kampfgeschehen (Kap. 3.2), wie Zerstörung, Krankheit und Tod (Kap. 3.3) und schließlich, wie die Haltung der Ulmer zum politischen Umbruch, zu Wehrdienst und Feinden war (Kap. 3.4). Meist sind Zitate aus den Chroniken auch den Überschriften auf angenehm „belebende“ Art vorangestellt. So etwa bei den Bewältigungsstrategien: „Gott wird helfen, wir wollen zu ihme ernstlich betten“. Sechs Tabellen im Text sowie elf Abbildungen im Anhang, darunter neben Plänen und Ansichten eine Typisierung und eine chronologische Übersicht über die ausgewerteten Chroniken, dienen der Verständnishilfe.

.Eine Vielzahl zusätzlich zur Gliederung eingestreuter, gerne angenommener Unterüberschriften setzt willkommene Zäsuren innerhalb der sehr umfangreichen Kapitel und erleichtert dem (faulen) Leser den Überblick. Dem ganz undisziplinierten Leser mag ohnehin empfohlen werden, die Schlußbetrachtung und glänzend formulierte Synopse der Forschungsergebnisse auf 16 Seiten vorzuziehen, um bei einem gezielten „Zurückblättern“ längere Passagen im Hauptteil entspannt studieren zu können.

Und diejenigen unter uns, die den letzten Weltkrieg und seine Unbilden wenn nicht noch am eigenen Leib, so doch aus Erzählungen von Eltern oder Großeltern kennenlernen mussten, steht mit diesem historischen, ungemein lebendigen Panoptikum etwas vor Augen, was eigentlich niemand je (wieder) erleben möchte. Nicht in der Ukraine oder nirgendwo sonst.