Donia Rosen: Mein Freund, der Wald, Mabase-Verlag, Nürnberg 2021, ISBN 978-3-939171-73-7

Der Opfer des Holocaust zu gedenken und deren tragische Schicksale in ihrer Tiefe zu begreifen, ist im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung des Nationalsozialismus das absolute Minimum, was ein jeder Einzelne von uns tun kann. Doch allein durch die sachlichen Schilderungen, die in Geschichtsbüchern zu finden sind, kann und wird das nötige Verständnis niemals erreicht werden. Zwar lesen wir mit betroffenen Gesichtern diese trocknen Berichte, aber der Nachhall in uns ist erschreckend gering. Letztendlich bleiben es eben Zahlen und Fakten, weit entfernt von jedweder Menschlichkeit.

Aus diesem Grund brauchen wir Menschen, die ihre persönlichen Erfahrungen völlig ungeschönt mit uns teilen, die uns etwas fühlen lassen. Wir brauchen Menschen wie Donia Rosen, die in ihrer Autobiografie „Mein Freund, der Wald“ einen unglaublich wertvollen Beitrag für die Aufarbeitung des Holocaust leistet.

 

 

Ein Lebenswille, der seinesgleichen sucht

Donias Geschichte ist eine von vielen, doch das macht sie nicht weniger tragisch. Im Gegenteil – davon zu erfahren, wie ein elfjähriges Mädchen nach und nach alles verlor, nur weil sie Jüdin war, und gleichzeitig zu wissen, dass es sich hierbei um kein Einzelschicksal handelte, ist unvorstellbar.

Umso beeindruckender ist es, dass Donia an all den Qualen, die kein Mensch – erst recht kein Kind – durchleiden sollte, nicht zerbrach, sondern immer weiterkämpfte. Mit einem Lebenswillen, der seinesgleichen sucht, verkraftete dieses tapfere Mädchen einen Schicksalsschlag nach dem anderen, machte sich den Wald zu ihrem besten Freund und schaffte es so, sich vor dem antisemitischen Rassenwahn der Nazis zu schützen.

 

Wenn Fremde zur Familie werden

Doch so schrecklich und düster das Thema des Holocaust auch wirken mag, „Mein Freund, der Wald“ ist keine Geschichte der Verzweiflung oder der Resignation. Im Laufe des Buches lernen wir sämtliche Frauen kennen, die Donia Unterschlupf gewähren – allen voran Olena. Ihre Selbstlosigkeit und ihr Mut, alles für die kleine Donia zu riskieren, sind mehr als nur rührend: Sie geben echte Hoffnung. Ohne zu zögern, ohne an die Konsequenzen zu denken, nahm Olena das Kind unter ihre Fittiche, denn sie reduzierte Donia nicht auf ihre „falsche“ Religion. Olena sah Donia als das, was sie war: Ein starkes Mädchen mit ungebrochenem Lebenswillen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Olena für Donia einsteht und sie wieder und wieder beschützt, ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie Fremde zu Freunden und schließlich gar zu einer Familie werden können.

„Mein Freund, der Wald“ ist eine Geschichte der Hoffnung – ein Appell an die Menschlichkeit.