Gisela Naomi Blume, Der neue jüdische Friedhof in Fürth, Geschichte – Gräber – Schicksale, hg. von der Gesellschaft für Familienforschung in Franken (=Personengeschichtliche Schriften, Band 12), Nürnberg 2019, ISBN 978-3-929865-75-2.

 

Ein Buch über Friedhof, Gräber, Tote? Was eher düster oder langweilig, ja gar beklemmend oder abschreckend klingen mag, vermag schon beim ersten kursorischen Durchblättern den geneigten Leser in seinen Bann zu ziehen und zu fesseln.

 

Jüdischer Friedhof in Fürth

 

Denn Naomi Blumes Publikation leistet viel mehr als eine historische Dokumentation. Zum einen rekapituliert sie genau die Geschichte des neuen jüdischen Friedhofs an der Erlanger Straße von 1906 bis nach 2010 (der seit 1607 bestehende alte Friedhof liegt zwischen Schlehen- und Weiherstraße) und schließt damit die Forschungslücke zu den im „Memorbuch der Fürther Opfer der Shoah“ erfassten Toten.

 

Jüdisches Leben in Fürth.

Zum anderen aber, und das macht das Werk so unschätzbar wertvoll, erzählt sie, soweit zu rekonstruieren, die Geschichte(n) und biographische Daten der Personen und ihrer nächsten Verwandten in den nicht weniger als 1.075 (!) Gräbern – unzählige Schicksale, „normale“, fesselnde, berührende, tragische, unfassbar akribisch und fleißig recherchiert (inklusive Todesursache), dokumentiert, teils bis in die Gegenwart fortgeschrieben und oft sogar durch Porträts, Fotos von Fürther Wohnhäusern oder anderes Archivmaterial ergänzt. Auf über 700 Seiten ersteht so vor der Augen des Lesers ein faszinierend facettenreiches Bild des ungemein reichen jüdischen Lebens in Fürth wieder, einer Welt und Kultur, die von den Nationalsozialisten in blindem Wahn und mit kaltblütigem wirtschaftlichen Kalkül innerhalb weniger Jahre beinahe völlig ausgelöscht wurde.

 

Grabstätten als Spiegel der gesellschaftlichen Stellung der Fürther Juden.

Die Grabstätten sind zugleich auch Spiegel der gesellschaftlichen Stellung der Bestatteten, darunter auffallend viele Ärzte, Juristen, Inhaber von Handels- und Exporthäusern, Hopfenhändler, Spiegel- oder Bleistiftfabrikanten oder Bankiers, die häufig als Stifter, Kommerzienräte, Sanitätsräte oder Majore am Gemeinwohl und der florierenden Wirtschaft Fürths maßgeblich beteiligt waren. Daneben finden sich natürlich auch einfachere Gräber für weniger wohlhabende Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde, oder gar für Bedürftige, deren Grabsteine der gemeinnützigen Totenbruderschaft zu verdanken sind.

 

Zur Geographie des Judentums.Exil oder Vernichtung.

Geographisch begibt man sich beim Durchstöbern der Geburts-, Heirats- oder Wohnorte auf eine Reise nicht nur ins fränkische Umland oder in alle erdenklichen Städte und Provinzen Deutschlands bis nach Polen und Galizien, sondern vor allem nach 1938 häufig ins Exil nach London, in die USA oder Israel. Viel zu oft jedoch findet sich bei den Angehörigen und besonders den Kindern der Bestatteten der Verweis „Shoah-Opfer“ oder auf eines von zahlreichen KZs. Nur manchmal ist dort von Überlebenden die Rede. Auch nach dem Krieg fanden noch manche hier gestrandete „Displaced Persons“ nach oft unsäglichen Odysseen des Leids ihre letzte Ruhe.

 

Mit der Bitte um Nachsicht: Wider das Vergessen !

Und letztlich ist es ein Stück verlorener fränkischer Kultur und Geschichte, die hier wie durch unzählig viele „Stolpersteine“ aus der Anonymität und dem Vergessen herausgeholt und wieder konkrete Namen und manchmal Gesichter erhält, von Menschen, Mitbürgern, Fürthern, die so zumindest in der Erinnerung weiterleben.