Christopher Peter, Hermann Wagener (1815–1889). Eine politische Biographie (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Band 181, hg. von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e. V. Berlin), Düsseldorf 2020, ISBN 978-3-7700-5348-3.

 

Parlamentarismus im 19. Jahrhundert

„Soziale Monarchie“ und „christlich-germanische“ Staatslehre … klingt ja interessant. Zumal hier nicht von einem königstreuen Kommunarden, urbayerischen Utopisten oder religiös-orthodoxen Reichsbürger die Rede ist, sondern einem preußischen Patrioten, Publizisten, Parlamentarier und Berufspolitiker der Bismarck-Zeit und seiner (politischen) Biographie.

Hermann Wagener. Ein preußischer Parlamentarier

Und die liest sich überraschend wenig spröde. Was Peter hier in der überarbeiteten Version seiner Passauer Dissertation zu Persönlichkeit und Werdegang eines heute fast vergessenen Staatsmannes auf beinahe 700 Seiten vorlegt, ist mindestens so bemerkenswert wie ihr „Hauptdarsteller“ selbst. Und das vom ersten Satz der Einleitung an, die mit einem Widerspruch beginnt: Das Lebenswerk historischer Akteure am Grad ihres (politischen) Erfolges zu bewerten, sei keine Notwendigkeit, ja sogar falsch.

Der Parlamentarier Hermann Wagener mit Gehstock. Ein Vorreoter des Parlamentarismus

 

Die Biographie von Hermann Wagener (1815-1889)

Während Peter im ersten Kapitel Wageners Schulzeit in Salzwedel, die Jahre des Jurastudiums in Berlin samt folgender Justizausbildung bis 1848 rekonstruiert, folgt in Kapitel 2 dessen fortan zähes publizistisches Ringen bis 1853 als Chefredakteur der anti-demokratischen „Kreuzzeitung“ sowie sein politischer Kampf im Parlament als „konservativer Freigeist“ für Reformen und das Ideal einer „Neuen Ära“ (Kapitel 3). Zugleich erhalten wir einen guten Einblick in das Parteileben der preußischen Konservativen in Preußen sowie einen noch besseren Überblick über Bismarcks Innenpolitik im Besonderen samt den sozialpolitischen Positionen gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen, inmitten von Verfassungskonflikten und Reichsgründung. Denn seit 1862 war Wagener Mitarbeiter und innenpolitischer Berater des gleichaltrigen Bismarck und vermeintlich „an den Hebeln der Macht“, mehr und mehr jedoch als eher “ohnmächtiger“ Diener, bis 1873 in Diensten des preußischen Staatsministerium, dazu in Kapitel 4.

Gegen Revolution und Demokratie

Hermann Wagener – ein Mann der Grundsätze und Prinzipien, aber auch Ideale, ebenso streitbar wie umstritten, prinzipientreu wie provokant. Auch prominent, wie die Daguerreotypie der späteren 1850er Jahre aus G. Hesekiels „Album konservativer Parteimänner auf dem Buchtitel zeigt. Gegen Revolution und Demokratie, aber mit einer beinahe „modernen“ sozialpolitischen Vision für eine bessere Gesellschaft. Dass seine „Reformprogramme“ letztlich zum Scheitern verurteilt waren, wie in Kapitel 5 zur „Karriere nach der Karriere“ und einem „Ende ohne Trost“ dargelegt, hängt mit den konkreten Gegebenheiten und Geschicken ebenso zusammen wie mit politischen und auch persönlichen Missgeschicken und -griffen. Einen „Adler ohne Flügel“ nennt ihn Peter, auch mit einem glücklosen Don Quijote ist er verglichen worden. Am besten fasst der Dichter und Zeitgenosse Theodor Fontane, ganz zum Schluss zitiert, Wageners Person und Wirken in Worten … (S. 638).

Parlamentarisch Erinnerungskultur.

Wer sich wohl in über hundert Jahren noch an Spahn oder KK erinnern wird? Ob sich dereinst auch ein Historiker finden wird, der sich außer mit den „Urgesteinen“ wie Merkel, Schäuble oder Seehofer auch mit den mehr oder weniger schillernden („Es ist nicht alles Gold, was glänzt“) Lebensläufen unserer heutigen parlamentarischen Vertreter und Vertreterinnen annimmt? Geschweige denn ihrer politischen Ideen, Theorien und Schriften, soweit bei aller Präsenz in konventionellen wie „sozialen“ Medien und, halt, im Parlament und allen Ausschüssen dafür noch Zeit bleibt natürlich …

Wie immer Ihr(e) N.N.