Neuendettelsau unterm Hakenkreuz

 

Hans Rößler, Nationalsozialismus in der fränkischen Provinz, Neuendettelsau unterm Hakenkreuz, Neuendettelsau 2017, ISBN 978-3-9809431-9-2.

Die letzten Endes wohl schmerzliche Erkenntnis, dass in der Idylle und vermeintlich „heilen“ Beschaulichkeit unserer fränkisch-protestantischen Heimat nationalsozialistisches Gedankengut lange vor der Machtergreifung Hitlers auf offenbar besonders fruchtbaren Boden fiel, dürfte sich bereits auf breiterer Basis durchgesetzt haben – spätestens aber seit den Veröffentlichungen von Greif, „Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im dritten Reich“Braun, „Hitlers liebster Bürgermeister“ und Wolfgang Mück, „NS-Hochburg in Mittelfranken“ zur Geschichte des Nationalsozialismus in Neustadt an der Aisch.

Auch dass dort seit 1932 mehrheitlich NSDAP gewählt wurde, ist kein echtes Geheimnis mehr. Aber Neuendettelsau, das durch seine weithin bekannte Diakonissen- und Missionsanstalt seit Mitte des 19. Jahrhunderts doch geradezu als Inbegriff christlicher Nächstenliebe und Fürsorge gilt? Die Wiege der Diakonie als Wiege einer menschenverachtenden, ja menschenvernichtenden sozialdarwinistischen Weltanschauung? Eigentlich kaum zu glauben.

Die St. Nikolai Kirche in Neuendettelsau

Diakonie und Nationalsozialismus in Neuendettelsau

Seit vielen Jahren hat sich Hans Rößler (pensionierter Gymnasiallehrer, Lokalhistoriker und Gründer des Löhe-Zeit-Museums unbeirrt um die Aufklärung dieses dunklen Kapitels bemüht – wie sich auch die Diakonie selbst zumindest seit den 1980-er Jahren vorbildlich der eigenen Geschichte im Dritten Reich stellt.

Sechs biographische Studien zu den damals im Ort einflussreichen, bis heute prominenten Persönlichkeiten genügen Rößler, um die lange Vorgeschichte und “mentale“ Verwurzelung braunen Gedankengutes dort ebenso überzeugend nachzuzeichnen wie Erfolg und Entwicklung der NSDAP-Ortsgruppe samt ihrer vielen angeschlossenen Verbände.

In weiteren Kapiteln werden eher kompakt der „Kirchenkampf“, die Geschichte der „Muna“, die Themen Zwangssterilisation und Euthanasie sowie am Ende die Kriegsjahre skizziert – nicht abschließend auch die Frage nach Widerstand gestellt zu haben. Pflichtlektüre für alle Geschichtsfreunde und wieder ein Pflasterstein auf dem Weg in eine möglichst flächendeckende Aufarbeitung des Dritten Reiches (nicht nur) in Franken!

 

Literaturhinweis:

Dazu auch der Beitrag von Matthias Honold in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Band 103, Neustadt an der Aisch 2016, S. 281–317, der „Die Heilstätte Engelthal in Beziehung zur Diakonissenanstalt Neuendettelsau“ in nationalsozialistischer Zeit beleuchtet.